Samstag, Juli 11, 2009

Karawanenpfad

Wenn ich mich zurückerinnern werde an Marseille, dann wird es auch an diese Strassenecke sein, wo wir gestern Abend einfach stehen blieben.

Wir standen zunächst an eine Hauswand gelehnt, später auf der Treppenstufe des Hauseingangs sitzend und taten nichts als die Menschen, die Szenerie um uns herum zu beobachten. Wir waren, als wir um die Ecke bogen, unvermittelt in eine andere Welt eingetaucht. Es war, als hätten wir ein unsichtbares Tor durchschritten. Wir waren in Afrika.

Uns gegenüber sass einer in einem Hauseingang. Während wir dort waren, hat er sich höchstens ein, zwei Mal bewegt. Rechts neben ihm sass eine Gruppe Männer der Hauswand entlang und unterhielten sich lebhaft. An der Strassenecke standen drei Frauen und warteten.

Vor dem Strassenkaffee neben uns fächerte der Wirt die Holzkohle. Auf den Rost des Grills hatte er Leberstücke an Holzspiesschen, ein kleines Nierstück und eine Mergès gelegt. Während er sich um die Holzkohle kümmerte, warf er dieses und jenes Wort den Männern zu, die neben im standen und Cola tranken. Einmal hörte ich ihn „Ali“ sagen und hatte damit zumindest ein Wort verstanden.

Doch das Erstaunlichste war dieses Strässchen selbst, das sich zwischen die in die Jahre gekommenen Häuser zwängte. Es schien, als stünden wir an einem nur von den Einheimischen benutzten Karawanenpfad.

Unablässig zogen Menschen an uns vorbei, in Gruppen, einzeln, zu zweit. Und wenn ich schreibe „vorbeizogen“ so deshalb, weil alle im selben Schritt die Strasse entlang gingen. Bundgekleidete Afrikanerinnen, Schwarzafrikaner, Tunesier, Algerier, Pakistani, Männer mit Henna gefärbtem Bart und weissen Käppis und so weiter und so fort.

Sie hatten diesen Gang von Menschen, die irgendwo hin wollen, doch keiner scheint in Eile zu sein.

Manche trugen die Kleidung ihrer Heimat. Zum Beispiel die beiden Frauen, die mit Ausnahme kleiner Sehschlitze völlig verhüllt in anthrazitgrauem Tuch vorbeizugleiten schienen. Denn ihre Gehbewegungen wurden nur durch ein sanftes hin und her Schaukeln des Tuches angedeutet. Sie trugen Handschuhe.

Meine Reisebegleiterin und ich waren die Exoten an dieser Strassenecke. Niemand nahm Notiz von uns.

Als wir später unten am Ende des Strässchens auf den breiten Boulevard hinaus traten, fuhr eben eine dieser futuristisch anmutenden Strassenbahnen vorbei.

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