Dienstag, August 04, 2009

Die Kunst des Reisens


Nachtzug nach Košice. Braucht nur fünf Stunden. Die beiden Züge tagsüber dagegen über acht Stunden, haben wir online durch die Fahrplanabfrage erfahren. Wir haben von der ursprünglichen Art des Reisens mit dem Zug in den letzten Tagen genug mitbekommen. Das Hotelzimmer haben wir nur tagsüber genutzt, zum Duschen und Ausruhen. Und zum Schreiben. Um fünf Uhr morgens werden wir ankommen.

Ich mag solche Nachtfahrten. Man schläft, falls überhaupt, erst kurz vor dem Ende der Strecke ein, döst dazwischen weg, träumt wirres Zeugs, wird wieder hellwach, weil man um seine Wertsachen fürchtet. Und dann dieses übernächtigte Gefühl und wenn du ankommst um fünf Uhr in der Frühe, ist es saukalt und du hoffst auf einen ersten starken Kaffee. Ein Croissant wäre die Vorstufe zum Paradies.

Der iPod spielt in den nächsten Stunden einen Mix aus Pop- und Rockstücken, dazwischen ein paar Unpluggeds, auch Keith Jarret. Die Kopfhörer von Logitech sind ihr Geld wert. Sie erreichen die Qualität der heimischen Anlage.

Vor einer Woche habe ich de Bottons Buch „The Art of Travel“ zu Ende gelesen. Der Kerl hat mich ab etwa der Mitte des Buches zu nerven begonnen. Es hat einen interessanten eigenen Gedanken in diesem Buch und das ist der auf Seite 9, den ich früher mal hier zitiert habe und der mich auf mehr hoffen liess.
If our lives are dominated by a search for happiness, then perhaps few activities reveal as much about the dynamics of this quest – in all is aroudur an paradoxes – than our travels. They express, however inarticulately, an understanding of what life might be about, outside the constraints of for and the struggle for survival.
Er war, wenn ich richtig gerechnet habe, 33 als er das Buch schrieb. Und man kann ja keineswegs behaupten, Herr de Botton sei nicht ein äusserst belesener junger Mann. Aber das reicht nicht aus, um über „The Art of Travel“ zu philosophieren. Aus dem einfachen Grund, weil ihm schlicht und einfach die Erfahrung des Reisens fehlt.

An eigenen Erlebnissen bekommen wir eine Autofahrt mit einem Halt in einer Autobahnraststätte mit, wo er einen Schokoriegel (!) zu sich nimmt und wenn ich mich recht erinnere dazu einen Orangensaft trinkt. Dann fährt er mit seiner Freundin in die Karibik und die beiden geraten sich in die Haare wegen einer Crème brûlée und schliesslich liegt er in einem Hotelzimmer in Madrid im Bett und will partout nicht raus, bis ihn das Zimmermädchen verscheucht. Dann trinkt in der Hotelbar eine heisse Schokolade. Ich halte das alles für ein ziemlich infantiles Verhalten, das Herr de Botton an den Tag legt.

Es gibt zwei Stadien des Reisens: in den ersten Jahren ist man ein Sammler. Diese Phase endet meistens dann, wenn man für teures Geld irgendwo hinfliegt und dort feststellt, hier sieht es aus wie in…. Die meisten Leute kommen jedoch über dieses Stadium nie hinaus.

Und dann gibt es die fortgeschrittenen Reisenden, die Erwachsenen (gemäss Herrn Schawinski sind das Leute ab sechzig), welche die Gelassenheit und Souveränität besitzen, sich auf das, was da kommt einfach einzulassen.
We are inundated with advice on where to travel to; we hear little of why and how we should go.
Wie gesagt, ich verstehe, dass Herr de Botton einen solchen Seufzer von sich lässt, er ist einfach noch jung und unerfahren. Denn wer schon herumgekommen ist, also über eine gute Portion Reiseerfahrung verfügt, für den ist vieles einfach egal und anderes will man nicht mehr. Zum Beispiel nochmals acht Stunden zweite Klasse fahren.

Die Kunst des Reisens besteht darin, aus dem was sich bietet eine eigene Geschichte zu machen, sein Unterwegssein bewusst gestalten.

Dazu gehört auch, die Zeit als Zeit zu geniessen. Wenn man auf einen Zug wartet, beispielsweise, geschieht einfach nichts. Meint man, bis sich der Bahnhof in eine Bühne verwandelt und du allein bist der Regisseur.

Der seinerzeit 33jährige de Botton kann das selbstverständlich nicht wissen. Deshalb kommt er auf die absonderliche Idee, dass Herr Humboldt beispielsweise das Glück hatte, Neues zu entdecken, weil noch keiner vor ihm dort war, wo er auf Pirsch nach Pflanzen, Tieren und Flussläufen ging. Na klar ist das so. Der Lärm in einem Urwald kann übrigens unerträglich sein.

Nur ist das im 21. Jahrhundert, nachdem wir das 20ste glücklich überstanden haben, nicht mehr ein Massstab für uns. Wir haben den Laptop und das iPhone mit eingebautem Navigationsgerät mit dabei. Wir stehen vor einer Kirche und informieren uns über Wikipedia. Statt mit dem Kompass und dem Sextanten navigieren wir unseren Weg durch den Grossstadtdschungel mit dem Internet.

Es geht gar nicht mehr darum, etwas zu entdecken, das andere vor uns noch nie gesehen hat. Warum auch. Wir reisen ja auch nicht mehr mit dem Segelschiff übers Meer und Schwingen uns dann auf den Rücken eines Mulis.

Das eigentliche Abenteuer, die spannende Entdeckungsreise findet im Kopf statt. Wer nicht über eine ausreichende Fantasie verfügt oder wenn es einem an Bildung mangelt, dem bleibt wohl nichts anderes übrig, als eine Pauschalreise in einen Club-Med zu buchen. Ein hohler Kopf zuhause bleibt auch ein hohler Kopf unterwegs. Da kann sich nichts bewegen ausser dem Körper und den Koffern.

Wir haben heute in Kraków bei McDonalds einen BigMac mit Pommes Frites und Coca Cola bestellt. Das war ein bewusste Entscheid aufgrund langjähriger Reiseerfahrung: Auf unserem gut fünfstündigen Rundgang durch die Stadt haben wir sehr viele Speisekarten mit farbigen Bildchen gesehen. Das ist ein wichtiger Hinweis auf eine schlechte Küche und das Ergebnis dortigen Schaffens ist oftmals nicht so gut für den Magen. Empfehlenswert ist übrigens auch ausgiebiges Händewaschen mehrmals am Tag, besonders nach einer Zugsreise. Soll auch gegen Schweinegrippe helfen.

Wie oft Herr Humboldt von der Rache Montezumas heimgesucht wurde, ist nicht überliefert.

5 Kommentare:

  1. Ein Prachtsbeispiel für Reiseelitismus. Die Lieblingsbeschäftigung von Reisenden: Sich einzureden, dass man selber als einziger verstanden hat, wie man "richtig" reist.
    Wenn der dicke Ami in den McDonalds geht ist er ein kulinarischer Kulturbanause, aber beim Weisen auf Reisen ist der selbe Akt Ergebnis intelligentester Überlegungen.
    Das ist eigentlich nur die Fortsetzung des Überlegenheitsgefühls gegenüber weniger-bis-nicht-Reisenden in der Heimat. Wenn man Zuhause ja schon was besseres ist, weil man "die Welt gesehen hat", will man dieses kuschlige Gefühl auch mit ins Reisegepäck nehmen.
    Meine Erfahrung (darf ich sowas schreiben? ich bin noch sehr jung): Je "erfahrener" (sprich: älter) der Reisende, desto häufiger und selbstsicherer kommen unaufgefordert Reisetipps daher, die ich mit einer ganz speziellen Vorliebe experimentell widerlege.

    Oder habe ich etwas falsch verstanden?

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  2. Manchmal ist es aber auch tröstlich, wenn solch ein Reise-Weiser das eigene Verhalten sanktioniert. In oben beschriebener Situation setze ich nämlich auch immer auf die McDonalds Karte. Bislang mit schlechtem Gewissen. Jetzt nicht mehr.

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  3. Anonym11:04:00

    @Claudio: Ja, es ist ziemlich nervend, diese Alten mit ihren Erfahrungen. Aber ab einer gewissen Anzahl Jahren kann man einfach nichts dagegen machen, gegen die Erfahrung.

    Werbespot für McDonalds: Gute Hygiene, einwandfreie Produkte (z.B. Qualität der Pommes = Oel), ergo kein Risiko für Magen und Darm in Städten wir Tarnow, mit wirklich fragwürdigem kulinarischem Angebot. Abgesehen davon mag ich zwischendurch einen BigMac.

    Und der Rest ist genau so, wie ich es geschrieben habe.Punkt.

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  4. Anonym11:09:00

    @a2t: Eee PC 1005 HA. Schneller Prozessor, 6-Pack-Batterie Standard eingebaut, hält 5 bis 6 Stunden. Guter Bildschirm, brauchbare Tastatur, akzeptabler Preis, rund 500 Franken bei "ich bin doch nicht blöd". Allerdings ohne Bill Gates.

    Ah ja, fast vergessen, Grösse etwa eines A4-Blattes, sehr handlich zum Mitnehmen auf eine Reise mit dem Zug.

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  5. Danke für diese Infos. Der 1005 HA war eh schon mein heisser Kandidat. Nach diesem positiv verlaufenen Härtetest ist er wohl gekauft. Und ohne Bill Gates ist mir mehr als recht.

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