Sonntag, August 02, 2009

Mit Tempo 30 durch die Felder

Polnischer Lokführer: Ja nicht zu schnell,
das ist sein grösstes Problem


Google Transit ist zwischendurch zum Scherzen aufgelegt. Beispielsweise wenn man wissen will, wie lange es mit dem Zug von Wroclaw nach Krakow dauert: 2 Stunden und 49 Minuten, sagt das System benötige der Zug für die 272 Kilometer.

Wir haben den gemäss Fahrplan schnelleren Zug gewählt, den um 09.28 Uhr. Der braucht lediglich 4 Std. 25. Die beiden früheren Züge brauchen für die selbe Strecke 15 Minuten länger. Sagt der polnische Fahrplan.

Nun fuhr unser Zug jedoch nicht um 09.28 Uhr ab, sondern eine halbe Stunde später. Denn zunächst mussten alle wieder aussteigen, weil der Lokführer ein technisches Problem festgestellt hatte.

Wer mit dem Zug durch Europa fährt,
fährt die längste Zeit immer mitten durch die Felder.


Das war infern gut für uns, weil dieser Zug schon seit zwanzig Minuten gleich neben uns stand. Weil in anderen Ländern die Züge jedoch nur wenige Minuten vor Abfahrt vorfahren, kamen wir gar nicht auf die Idee, der hier sei der unsere. Zumal die Schrift der Anzeige von dort aus wo wir standen, schon längst nicht mehr zu entziffern war.

Es gibt für Regionalzüge nur zweite Klasse, auch wenn noch "Express" hinzugefügt wird. Deshalb konnten wir uns mal so richtig unters Volk mischen. Nun ist das nicht so schlimm, wie der vorherige Satz vermuten lässt. Wir schwitzten diesmal einfach alle. Und hätte es tatsächlich eine erste Klasse gehabt, dann hätte auch die keine Klimaanlage gehabt. Ich bin ein gutes Stück mit Dostojewskijs "Verbrechen und Sühne" vorangekommen, passte ganz gut zur Stimmung im Abteil, auch was die Temperaturen anbelangt. Es sind dreissig Grad draussen.

Die anderen übten sich auch in Geduld
oder sind einfach dieses Tempo gewohnt.

Überhaupt: Die Leute sind sympathisch, die einen lesen ein Buch, andere schauen zum Fenster raus oder dösen vor sich hin, was halt Menschen tun, wenn sie in einem Zug irgendwohin wollen. Weil man in diesem Zug, im Gegensatz zu allen anderen bisher, auch die Fenster öffnen kann, weht immer ein angenehmer Luftzug durchs Abteil.

Die letzten zwanzig Kilometer setzten sich zwei hübsche junge Polinnen zu uns, so um die 18 Jahre jung. Die eine redete ohne irgend eine einzige Interpunktion. Zwischendurch hat sie auch mal ein belegtes Brot gegessen, was den Redefluss jedoch keineswegs stoppte. Nun weiss ich als Vater von drei Töchtern, dass dies weder an der Nationalität noch an der Sprache liegt, sondern am Alter.

Weil ich eh mal stehen wollte, verzog ich mich nach einer Weile mit Elvis im Ohr in den vorderen Teil des Wagens, wo man Velos hinstellen kann, also recht viel Platz zum Stehen hat.

Der Beweis: Tachometer zeigt knapp 30 km/h

Dort war auch der Lokomotivführer und so zottelten wir in einem Tempo durchs Land, man hätten Blumen pflücken können. Am Rollmaterial liegt es trotz Eingangspanne nicht, das ist recht modern. Es sind die völlig ausgeleierten Geleise, die auf einer sehr langen Strecke lediglich 30 km/h zulassen. 30 km/h! Dabei machen die Räder dieses Klopfgeräusch, das man sonst nur noch in alten Filmen hören kann, wenn sie in die Lücke zwischen den einzelnen Schienen sacken. Aber auch das ganz langsam: Dumm tsi, dumm tsi, dumm tsi.

Und damit ist auch erklärt, weshalb dieser Zug gut 2 Stunden länger braucht, als Google Transit zu wissen vorgibt.

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